Sonntag, 15. September 2019

Begegnung mit Geflüchteten in Bosnien UPDATE 13.11. (Link)

Nachdem uns unsere Reise nur kurz durch Slowenien und Kroatien führte, lernten wir an der Grenze zu Bosnien und Herzigowina gleich einen netten Bosnier kennen, der uns empfahl, entlang des Flusses Una im Nationalpark unterwegs zu reisen, weil es dort besonders schön sei. Er warnte uns auch vor Problemen durch Refugees, also Geflüchteten. Uns ist bewusst, dass „Geflüchtete" weder eine ethnische noch sonst eine Menschengruppe ist. Die Gruppe „Geflüchtete" gibt es nicht, denn jeder von ihnen ist ein Individuum mit eigener Geschichte und Schicksal. Trotzdem fragten wir nach, was die Geflüchteten denn genau für Probleme machten. Darauf wusste er keine wirkliche Antwort. Er zog nur die Augenbrauen hoch und entgegnete: „Anything is possible."

Gleich nach der Grenze fielen uns dann wirklich sehr viele junge Männer auf, die an der Landstraße entlang gingen. Sie sahen nicht nach Einheimischen aus, sondern eher nach Landsmännern der typischen Fluchtländer unserer Region - Afghanistan, Irak, Syrien, und teilweise noch weiter östlich: Pakistan, Indien, Bangladesh.
Bei unserem zweiten Stopp in Bosnien standen wir zufällig direkt neben einem Camp für geflüchtete Familien und ließen es uns nicht nehmen, die Leute dort gleich mal zu besuchen. Die meisten freuten sich sehr, vor allem die Kinder hüpften und tanzten um uns herum. Sammy war begeistert, von sovielen Kindern begrüßt zu werden und fing sofort an, mit ihnen herum zu toben. Doch leider war die Freude nur von kurzer Dauer. Ein Security-Mensch kam zu uns und gab uns zu verstehen, dass wir das Camp verlassen müssten. Sammy protestierte natürlich lautstark und wollte nicht gehen, aber uns blieb vorerst keine andere Wahl.
Unser Stellplatz war an einem Restaurant direkt am Fluss Una. Es war wunderschön und die Besitzer des Restaurants hatten zwei Söhne mit denen Samuel spielte. Im Garten war ein Sandkasten und eine Rutsche, außerdem war viel Spielzeug zum Ausprobieren vorhanden.
Nachmittags nach dem Essen schlichen wir uns nochmal aufs Campgelände, doch anstatt zum großen Platz am Hauptgebäude gingen wir gleich zum weiter hinten gelegenen Fußballplatz, da dass uns die Sercurity diesmal nicht entdeckte. Dort war viel los und Sammy konnte endlich mal wieder ein paar Tore schießen. Wir spielten nicht nur Fußball, sondern unterhielten uns mit vielen der Geflüchteten. Sie kamen auch Afghanistan, Irak und Syrien und waren alle sehr nett und aufgeschlossen. Doch leider hörten wir viele traurige Geschichten von der Flucht und deren Ursachen. Und einen Teil dieser Geschichten erzählte uns fast jeder der Campbewohner unabhängig voneinander. Sie erzählten von der unglaublichen, gesetzeswidrigen und Menschenrechts verletzenden Gewalt der kroatischen Polizei. Familien, die bereits über der Grenze waren, sich also in Kroatien schon auf EU-Grund befanden, wurden nicht nur rechtswidrig zurück gebracht, sondern sie wurden zuvor noch ausgeraubt. Telefone, Geld, Wertgegenstände würde den Familien einfach weg genommen und sie wurden zurück nach Bosnien und Herzigowina gebracht. Noch schlimmer ergeht es einzelnen Männern, die in Kroatien erwischt werden. Diese werden von der kroatischen Polizei nicht nur ausgeraubt, sondern oft auch verprügelt, teilweise mit folgenschweren Körperverletzungen. Ein Afghane, dessen hängendes unbewegliches Auge mir schon zuvor aufgefallen war, erzählte mir, dass er schon zirka 2 km innerhalb von Kroatien war, dann von der Polizei gefasst und so heftig verdroschen wurde, dass er ein Auge verlor. Eine Möglichkeit, rechtlich gegen die Verbrechen vorzugehen, haben die Geflüchteten quasi nicht. Uns ist schon bewusst, dass die heimliche Übertretung der Grenze zur EU auch nicht legal ist - auch wenn es aus rein humanitärer Sicht notwendig ist. Aber die juristisch korrekte Strafe für den Grenzübertritt ist eben nicht Folter und Raub.
Wir waren wirklich schockiert über die heftigen Geschichten. Schon früher, nach unserer ersten großen Reise, verbrachten wir in Schwetzingen viel Zeit in den Camps mit Geflüchteten und kannten sehr viele einzelne Schicksale, die dann in Summe immer ein gewisses typisches Bild ergaben, zum Beispiel von den Folterungen in Lybien, den tödlichen Wüstenmärschen der Ostafrikaner oder den Horror Stories von den überfüllten Schlauchbooten. Aber dass gerade jetzt aktuell im Herbst 2019 quasi systematisch von der EU solche grausamen Verbrechen an Menschen begangen werden, hatten wir so nicht erwartet. In Deutschland ist das Thema „Flüchtlinge" schon seit einiger Zeit nicht mehr im medialen Zentrum, jetzt verstehen wir aber auch besser, warum das so ist. Schon an den EU Außengrenzen wird mit illegalen Mitteln dafür gesorgt, dass die Menschen erst garnicht die Möglichkeit haben, in der EU und damit auch in Deutschland Schutz zu suchen.
Es erfüllt mich tatsächlich in Gewisser Weise auch mit Scham, wenn ich daran denke, dass man uns an sämtlichen Grenzen nur fragt: „Are you german?" - und nach Bejahung der Frage freundlich anlächelt und uns viel Spaß im Land wünscht. Ich habe dafür nichts besonderes geleistet. Ich wurde einfach nur in einem Babykörper geboren, der sich auf der Erde auf den Koordinaten 49.31 N - 8.44 O befand. Ahmeds Babykörper befand sich auf 34.53 N - 69.2 O. Das ist der ganze Unterschied und die Begründung, weshalb ich behandelt werde, als hätte ich Bosnien persönlich von Tito befreit und Ahmed muss körperlich und seelisch einstecken, wohin er auch kommt. Er muss mit seiner Familie nicht nur aus einem Land vor großen Missständen oder vor Krieg fliehen, sondern ist auch auf der beschwerlichen Reise in eine vermeintlich bessere und sicherere Zukunft ständig auf der Flucht und lebt immer wieder in Angst und Alarmbereitschaft. Ein Afghane erzählte uns, dass er vor vier Jahren aus Kabul mit seiner Frau und seinen zwei Kindern einfach zu Fuß los gegangen ist und sie jetzt seit einer Weile im Norden Bosniens fest sitzen, nachdem sie schon zwei Mal in Kroatien waren, dort von der Polizei geschnappt, ausgeraubt und zurück nach Bosnien gebracht wurden. Sie werden es aber natürlich nicht aufgeben, nach Europa zu kommen. Nach Deutschland wollen sie. Wir wünschen Ihnen viel Glück und hoffen, dass sie es bald nach Deutschland schaffen und dort viele nette und offene Menschen kennenlernen, die selbst wissen, wie gut es ihnen geht und ihr Glück mit den neu Angekommenen teilen und ihnen neuen Mut machen wollen. Denn dann kann nach einer Weile gelingen, was sehr vielen gelingt: Arbeit finden, eine Wohnung bekommen, Freunde kennenlernen und ein neues Leben in Freiheit und Sicherheit beginnen.
Während die Geflüchteten weiter immer wieder versuchen werden, über die Grenze in die Europäische Union zu kommen, setzen wir Deutschen unsere schöne Reise fort, besuchen interessante Städte, baden in Flüssen, Seen oder im Meer, gehen Pizza essen oder werden auch mal von Einheimischen zum Essen eingeladen. Irgendwie unfair und traurig, aber im Moment sehen wir keinen Weg, daran etwas ändern zu können. Über die Missstände mit unseren begrenzten Mitteln zu berichten ist wohl die einzige Kleinigkeit, die wir unternehmen können.
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Update 13.11.2019
Gerade erst haben wir einen Artikel entdeckt, der u. A. die Aussagen der Geflüchteten bestätigt und auch andere schlimme Dinge von der Situation berichtet:
https://www.dw.com/de/flüchtlinge-in-bosnien-allein-auf-sich-gestellt/a-51130453

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